Als ich am vergangenen Mittwoch die „Bizarren Erzählungen“ von Olga Tokarczuk gelesen habe, schaute ich von Zeit zu Zeit ins Internet. Plötzlich – um 13.22 Uhr – meldete mir meine Uhr den Nobel-Preis für Olga Tokarczuk. Ich flog förmlich aus dem Sessel, loggte mich in Facebook ein und teilte die wunderbare Nachricht, die die polnische Zeitung „Gazeta wyborcza“ gemeldet hatte. Olga Tokarczuk war Nobel-Preisträgerin für Literatur – unglaublich! In meinen Augen zeigte sich ein ganzer See von Freudentränen.

Absurde Normalität
Ihr Bücher begleiten mich, solange ich Polnisch lerne. Das erste Buch, das mir in die Hände fiel, war „Szafa“ (Der Schrank) – ein Bändchen mit drei Erzählungen. Hier traf ich zum ersten Mal auf den außergewöhnlichen Schreibstil von Olga Tokarczuk, mit dem sie surrealistische Welten schuf, in denen die Gegenstände nicht einfach Gegenstände waren. Sie stellte die Welt auf den Kopf – die angebliche Normalität wurde absurd, die Absurdität Normalität.
Sie wusste das schon vor 20 Jahren; wir wissen es endgültig erst seit Sonntag, dem 13. Oktober.

Schlangen vor den Wahllokalen
Als ich am Sonntag aufwachte, prüfte ich zuerst, was es Neues in der Welt gibt. In Amerika warteten die Polen in langen Schlangen, um ihre Stimme zu den Parlamentswahlen in Polen abzugeben. Später sah ich ähnliche Bilder aus Berlin, Rom, Stockholm… Die Polonia wollte wählen. Gerührt davon, wie sie ihrer Verantwortung für ihr Land gerecht werden wollten, teilte ich auf Facebook mehrere Posts dazu. Eine Freundin aus Berlin schickte mir ein Foto, wie sie vor dem Wahllokal in Pankow mit der polnischen Fahne in der Hand wartete.
Die Wahlbeteiligung
Gegen 12 Uhr schaute ich nach der Wahlbeteiligung in Polen. Eine Bekannte aus Warschau vertraute mir an, dass sie sehr nervös sein und die Wahlergebnisse am Abend liebe nicht erfahren möchte, da diese ihr sicher den Schlaf rauben würden.

Stimmen nicht gehört
Ich dagegen prüfte sie gleich 21 Uhr nach der Schließung der Wahllokale. Die Hälfte der Polen hatte nicht auf Olga Tokarczuk gehört und auch nicht auf die Parteien der Opposition der regierenden Partei in Polen. Sie hatten nicht auf die Appelle der Nobel-Preisträgerin gehört und nicht auf die Stimmen, die Demokratie und Freiheit einforderten. In der polnischen Zeitschrift „Politik“ hatte Olga Tokarczuk noch vor den Wahlen gesagt, dass diese Wahlen die „Wahl zwischen Demokratie oder Autoritarismus sein werden.“

Am Ende der Woche war mir sehr traurig zumute. Deswegen postet ich selbst eine Trauerschleife als Zeichen meines Mitgefühls für die Wahlergebnisse.
„Bizarre Erzählungen“ hatte eben nicht nur Olga Tokarczuk geschrieben, sondern das Leben selbst.